Volle Säle und großer Applaus
Von Christian Knull
Zum hundertsten Geburtstag von Ernst Schneider fand die Preisverleihung in Hanau statt, am Geburtsort des Preisstifters. Und dort, auf der Bühne des historischen Comoedienhauses Wilhelmsbad, brachte im Jahr 2000 ein Preisträger die Gäste zum Lachen. Warum es so wenig gute Wirtschaftsbeiträge gebe, wurde Armin E. Möller gefragt. Möller war einer der kreativsten und originellsten Redakteure des Westdeutschen Rundfunks, der so oft wie kein anderer ausgezeichnet wurde. Er antwortete, weil „der wahre Feind des Wirtschaftsjournalisten der Kulturjournalist ist“. Hinter dem Witz verbirgt sich ein Problem, das im Kern bis heute besteht. Möller berichtete von der latenten Bevorzugung vermeintlich wichtigerer Themen aus Kultur und Unterhaltung. Wirtschaftsthemen, so sagte er, hätten in den Sendern keine Lobby. Dies läge auch daran, dass viele seiner Kolleginnen und Kollegen mit Wirtschaft fremdelten.
Der Ernst-Schneider-Preis hat Jahre später in einer Studie die Vorstellungen, die Journalistinnen und Journalisten von Wirtschaft haben, wissenschaftlich untersucht. In tiefenpsychologischen Interviews offenbarten JournalistInnen ihr Unbehagen gegenüber wirtschaftlichen Themen. In ihrer Vorstellung ist Wirtschaft eine unheilvolle, mächtige Kraft, der man entgegentreten müsse. Tatsächlich machen sich viele Menschen nicht bewusst, dass eine florierende Wirtschaft für den Zusammenhalt und die Entwicklung der Gesellschaft von entscheidender Bedeutung ist, und dass ihr Funktionieren Bildung und Wohlstand (und auch Kultur) erst ermöglicht.
Mission und Wachstum des Ernst-Schneider-Preises
Der Ernst-Schneider-Preis setzt hier an. Er macht herausragende Beiträge, die wirtschaftliche Hintergründe auch Nicht-Ökonomen erklären, durch die Auszeichnung bekannt. Natürlich dürfen die Beiträge kritisch sein, denn auch in der Wirtschaft gibt es Fehlentwicklungen. Sie aufzuzeigen ist eine wichtige Aufgabe des Journalismus, und oft standen AutorInnen von Politmagazinen, von „Spiegel“, „Zeit“ und „ZDF“ auf der Bühne und wurden für ihre Arbeit gelobt. Mal ging es um Dieselmanipulationen, mal um Cum-ex-Geschäfte, mal um ruinöse Kreditgeschäfte großer Banken. Die unabhängigen Jurys zeichneten aber auch das Gelungene aus, Technikinnovationen oder Startup-Formate wie „Die Höhle der Löwen“, wenn sie außergewöhnlich vermittelt waren, denn auch das ist eine Aufgabe des Wirtschaftsjournalismus – aufklären, ermutigen und Wissen vermitteln.
Mit den Themen Globalisierung, Digitalisierung, Finanzkrise, Euro, Internet und Cyberkriminalität wuchs der Ernst-Schneider-Preis in den ersten beiden Jahrzehnten dieses Jahrtausends. Die IHKs beschlossen, Kategorien für Zeitungen, Zeitschriften und Onlinemedien einzuführen, um den Preis, der zunächst nur im Radio und Fernsehen vergeben wurde, bekannter zu machen. Die Einreichungen stiegen kontinuierlich von 180 auf 1.400 Beiträge im Jahr. Anfangs versandten die Redaktionen noch Bänder, Kassetten und Papier; die Kisten und Kartons füllten zur Jahreswende die Geschäftsstelle.
Die Preisverleihungen – unvergessliche Abende
Parallel werteten wir die anfangs bescheidenen Verleihungen zu Galas auf und engagierten aus dem Fernsehen bekannte Moderatoren wie Maybritt Illner, Tom Buhrow und Eckart von Hirschhausen. In den Jurys arbeiteten jetzt bekannte JournalistInnen, die bei der Preisverleihung selbst die Entscheidungen begründeten. Nahezu alle Intendantinnen und Intendanten sowie die ChefredakteurInnen großer Medien haben sich für den Ernst-Schneider-Preis engagiert. Das ehrte die Preisträgerinnen und Preisträger und schmückte den Preis. Die Gewinner standen vor vollen Sälen und konnten den Applaus von manchmal 700 Gästen empfangen. Jede Preisverleihung hatte ein anderes Gesicht, denn die gastgebenden IHKs nutzten das Ereignis, um bundesweit für ihre Region zu werben. Die Preisverleihungen im Porsche-Museum in Stuttgart, in der neuen Essener Philharmonie, im Berliner E-Werk, der Kölner Vulkanhalle, der imposanten Hamburger Handelskammer oder dem Karlsruher Zentrum für Kunst- und Medientechnologie mit seiner spektakulären Licht- und Lasershow bleiben in Erinnerung.
An diesen Abenden zeichneten wir auch Innovationen aus. Das waren besondere Momente, wenn man erfuhr, mit welchen Ideen die AutorInnen das oft sperrige Thema Wirtschaft einem breiten Publikum näherbrachten. Eine Rückschau auf fünf Jahre Finanzkrise ließ „Die Zeit“ beispielsweise in einem mehrseitigen Cartoon zeichnen und schuf für die Silvesterausgabe 2011 ein Feuerwerk an Bildern. „Rachs Restaurantschule“ erhielt einen Preis für die unterhaltsame Vermittlung der Lehrlingsausbildung, RTL einen Ernst-Schneider-Preis, weil der Sender die trockene monatliche Arbeitslosenstatistik in der informativen Serie „Das Hartz IV-Tagebuch“ illustrierte, die einen Monat lang in den Hauptnachrichten zu sehen war. Ikonen des Fernsehens kletterten auf die Bühne: Ranga Yogeshwar, Stefan Aust und Armin Maiwald, der 2002 für die „Autobau-Maus” ausgezeichnet wurde. Jeder bedankte sich auf seine Weise. Armin Maiwald sagte: „Ich habe den Ernst-Schneider-Preis bekommen, weil ich Dinge so einfach gezeigt habe, dass sie buchstäblich jedes Kind versteht“.
Ein weites Feld: Gutachten, Studien, Umfragen, Weiterbildung
Der Ernst-Schneider-Preis entfaltete Wirkung. Dazu trugen unsere Gutachten bei. Systematisch erfassten wir die Wirtschaftsberichterstattung in Deutschland und bündelten die Ergebnisse in jährlichen Berichten. Diese Stellungnahmen waren kritisch. Sie belegten, wie in den öffentlich-rechtlichen Medien Sendeplätze für Wirtschaftssendungen verschwanden, wie Information der Unterhaltung wich und immer öfter Quotenüberlegungen dominierten. Die Programmverantwortlichen bezogen in jedem Jahr Stellung, denn die Analysen lieferten, wie Volker Herres schrieb, „wichtige Impulse für die interne Arbeit in den Redaktionen und Häusern“.
Parallel begannen wir wissenschaftliche Studien in Auftrag zu geben und ließen die Wirtschaftsberichterstattung in den Medien erforschen, zum Beispiel das Bild des Unternehmers in der Fernsehunterhaltung (es war klischeehaft). Wie fragten, ob junge Zuschauer die Wirtschaftssprache in den Nachrichten verstanden (sie scheiterten an Wörtern wie Schwellenland), welche Berufe das Fernsehen zeigte (andere als ihre Zuschauer hatten) und wir verglichen in der Woche, in der die Regierung Schröder die Agenda 2010 vorstellte, wie Tagesschau, heute (ZDF), RTL aktuell und die Sat.1-Nachrichten ihre Zuschauer über die wirtschaftlich bedeutsamen Ereignisse informierten (sehr unterschiedlich). Wir fragten nach dem Stellenwert von Wirtschaft in den Boulevardzeitungen und wir ließen die Wirtschaftsberichterstattung in den Onlinemedien unter die Lupe nehmen.
Wirtschaftsverständnis im Fokus
Dabei hatten wir die Autorinnen und Autoren im Blick. Deren Geschäft ist durch die Umbrüche in der Medienlandschaft schwieriger geworden. Viele arbeiten frei, und wer in Redaktionen eingebunden ist, hat kaum noch Zeit vor Ort zu recherchieren. Regelmäßige Umfragen des Ernst-Schneider-Preises unter JournalistInnen belegten die Entwicklung. Umso wichtiger, dass Volontärinnen und Volontäre am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn die Praxis kennenlernten. Wir bauten ein bundesweites Programm auf, in dem wir wirtschaftliches Basiswissen vermittelten – durch Betriebsbesichtigungen, Gespräche mit UnternehmerInnen und Diskussionen mit IHK-Chefs. Bei diesen Wirtschaftstagen zeigten wir aus der langen Liste preisgekrönte Beiträge des Ernst-Schneider-Preises hervorragende Stücke und weckten unter den angehenden JournalistInnen nicht selten Lust, sich mit der wirtschaftlichen Facette des Lebens näher zu beschäftigen.
Christian Knull war Geschäftsführer des Ernst-Schneider-Preis e.V. von 2000 bis 2018.