Markt und Transparenz: der Verbandspräsident

Von Dr. Hartmut Spiesecke

„Die Demokratie lebt von der aktiven Mitwirkung des Staatsbürgers. Daher darf sich auch die Wirtschaftspolitik in der Demokratie nicht in der Tätigkeit des Gesetzgebers und der Regierung erschöpfen. Sie bedarf ebenso der gestaltenden Mitarbeit der außerhalb der Regierung und des Parlaments stehenden Kräfte.“

Ernst Schneider

Als Ernst Schneider 1959 diese Sätze sprach, war er schon mehr als 30 Jahre lang Unternehmer, hatte zwei Weltkriege überlebt und die ersten zehn von insgesamt 19 Jahren als Präsident der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf amtiert.

War schon der Werdegang des Unternehmers außerordentlich bemerkenswert, so gilt dies noch mehr für den homo politicus. Ernst Schneider verstand schon seine unternehmerische Tätigkeit durchaus als gesellschaftspolitische. Er wollte nicht primär Geld verdienen, sondern die Gesellschaft als Unternehmer mitprägen. So erklärt sich sein rascher Aufstieg vom Direktionsassistenten zum Teilhaber. Die selbstverständliche Mit-Verwaltung der Anteile seines Partners und die selbstverständliche Rückübereignung nach 1945 zeigen Ernst Schneiders großes Verantwortungsbewusstsein. Im Kleinen wie im Großen agierte Schneider nicht für sich allein. Im Gegenteil: Reiner Eigennutz war ihm zutiefst fremd.

Früh verstand Schneider, dass die junge Demokratie vom Engagement möglichst vieler Bürger lebte – auch vieler Unternehmer. Mehr noch: Ihm war früh bewusst, dass der aus der preußischen Tradition hervorgegangene Staat erst noch zu lernen hatte, welcher Stellenwert Unternehmen in der neuen Sozialen Marktwirtschaft zukam. Der deutsche Staat, von 1933 bis 1945 alldominantes Monstrum mit allzuständiger Verwaltung in obrigkeitsstaatlicher Tradition, hatte demokratische und marktwirtschaftliche Ordnung buchstäblich neu zu errichten und zu verinnerlichen.

Wirtschaftspolitik aus Düsseldorf

Bereits 1949 wurde Ernst Schneider zum Präsidenten der IHK Düsseldorf gewählt. Nicht zufällig sah er hier eine maßgebliche Institution zur Mitgestaltung.

„Die Industrie- und Handelskammern sind mehr als eine Interessenvertretung, wenn sie auch zuerst und zumeist für alles in Anspruch genommen werden, was außerhalb der kaufmännischen Tagesarbeit liegt. Sie sind nämlich vor allem auch eine der wichtigsten Quellen für die Information und Beratung der staatlichen Verwaltung über alle wirtschaftlichen Tatbestände innerhalb eines Bezirkes.“

Ernst Schneider (1956)

Scharfsichtig erkannte Schneider die Bedeutung der Industrie- und Handelskammern für die regionale und landesweite Gestaltung wirtschaftlicher Rahmenbedingungen, die ihren Anfang in sachlichen Informationen über das Wirtschaftsgeschehen sah. Deswegen sorgte er früh dafür, dass alle wichtigen Wirtschaftsbranchen in den Führungsgremien der IHK vertreten waren (Herchenröder 1960, S. 36).

Schon in den 1950er Jahren kristallisierten sich Schneiders wirtschaftspolitische Schwerpunkte heraus: Hierzu zählten die Förderung des Außenhandels, die Qualifizierung des Unternehmernachwuchs (vor allem durch die 1956 gegründete und bis 2009 bestehende C. Rudolf Poensgen-Stiftung e.V.) sowie Themen der Steuer- und Finanzpolitik. Schon früh versuchte Ernst Schneider die Bevölkerung auch von den Vorzügen des Aktiensparens zu überzeugen – und fing mit Belegschaftsaktien für seine eigenen Mitarbeiter an. So verstand er seine gesellschaftliche Funktion als Vorbild.

„Bonner Jahre“

1963 wurde der bundesweit hoch angesehene Unternehmer und IHK-Präsident schließlich zum Präsidenten des Deutschen Industrie- und Handelstags (DIHT in Bonn; heute DIHK in Berlin) gewählt. Seine Expertise in den genannten Politikfeldern prädestinierten ihn für diese Aufgabe, der er mit großem Einsatz und mit hoher Leidenschaft nachging. Dieser Schritt schien schon dadurch vorgezeichnet, dass Ernst Schneider seinen politischen Gestaltungsanspruch auf Landesebene dokumentiert hatte.

Ihm kam zugute, dass er die großen wirtschaftspolitischen Themen als Unternehmer und als Verbandschef bestens kannte: ebenso wie die haushalts- und fiskalpolitischen der Regierungen der Bundeskanzler Adenauer, Erhard und Kiesinger. Außenwirtschaftsthemen (zu denen damals auch noch die Angelegenheiten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG zählten) waren ihm geläufig. So waren seine kritischen Bemerkungen ebenso scharfsinnig wie konstruktiv. Nie erschöpfte Schneider sich im Besserwissen: Bessermachen war sein Ziel. So enthalten viele seiner Reden aus den 1960er Jahren konkrete Gestaltungsvorschläge an die Regierung. Auch der Sozialpartnerschaft zwischen Unternehmensverbänden und Gewerkschaften widmete Schneider kritisch-konstruktive Gedanken.

Die Vielfalt der Themen erklärt sich nicht nur mit den Interessen des Präsidenten Ernst Schneider, sondern ergibt sich auch aus den großen politischen Themensetzungen der Bundesregierungen. Dass Schneiders Reden in aller Regel von einem Stab vorbereitet wurden, nimmt ihnen nichts von der Bedeutung, die auch der Redner ihnen zugemessen hat. Schneiders Überzeugung, dass er als Unternehmer prädestiniert zur politischen Mitsprache sei, findet in dieser Zeit ihren Höhepunkt.

Markt und Transparenz

Die Forderung nach Transparenz formulierte Ernst Schneider ausgehend vom damals noch weitgehend unregulierten Aktienmarkt. Nur transparent kann er überhaupt als Markt funktionieren, das war Schneiders Überzeugung. Deswegen setzte er sich für eine stärkere Publizität der Unternehmen ein, die den Aktionären Rede und Antwort zu stehen hätten.

Über den Aktienmarkt hinaus erkannte Ernst Schneider die fundamentale Bedeutung von Informationen für eine funktionierende Gesellschaftsordnung, noch weit vor dem Beginn des so genannten Informationszeitalters. Die historischen Erfahrungen prägten Schneiders Engagement für eine Wirtschaftspublizistik, die erklärt und erläutert, Sachverhalte darstellt und Zusammenhänge verdeutlicht.

An der Gründung der Kammergemeinschaft Öffentlichkeitsarbeit hat Ernst Schneider nicht persönlich mitgewirkt. Zweifellos waren ihm die Entwicklungen aber bekannt, die er mit Wohlwollen begleitete. Aus dem unternehmerischen und verbandlichen Wirken hatte Schneider sich 1970 bereits zurückgezogen. Dies ermöglichte den die Initiative ergreifenden Industrie- und Handelskammern aus Nordrhein-Westfalen, den neu gegründeten Preis für herausragenden Wirtschaftsjournalismus nach einem der Gründerväter der Sozialen Marktwirtschaft zu benennen. Der Ernst-Schneider-Preis war geboren. Die ersten beiden Preisträger wurden 1971 geehrt.

Zum Schluss: Ernst Schneider

„Ich habe die Hoffnung, dass Sie wie ich davon überzeugt sind, dass wir diese unsere Aufmerksamkeit den wirklich bedeutenden Fragen unserer Demokratie und unserer Wirtschaft noch mehr als bisher widmen müssen, und zwar nicht nur im Sinne sachlicher und berechtigter Kritik, sondern auch mit dem Willen, die Initiativen zu ergreifen, die für uns alle das wirkliche, das dringende Gebot der Stunde sind.“

Ernst Schneider (16. Oktober 1968)
Dr. Hartmut Spiesecke ist seit 2018 Geschäftsführer des Ernst-Schneider-Preis e.V.