Ausguck nach weit vorne
Wohin steuert der Ernst-Schneider-Preis?
Von Dr. Hartmut Spiesecke
Journalistenpreise gibt es wie Sand am Meer; unabhängige Journalistenpreise schon viel weniger. Unabhängige Preise für Wirtschaftsjournalisten existieren kaum. Heute ist der Ernst-Schneider-Preis zusammen mit dem Holtzbrinck-Preis und dem Quandt-Preis einer der drei großen unabhängigen Preise für Wirtschaftsjournalisten in Deutschland.
Charakteristisch für den Ernst-Schneider-Preis sind die mehrheitlich mit unabhängigen Journalisten besetzten Jurys. So wird auch strukturell vermieden, was seit Anbeginn Programm des ESP ist: Kritische, kompetente und allgemeinverständliche Beiträge mit hoher Recherchetiefe werden gesucht und ausgezeichnet. Hier schustern sich nicht Wirtschaftsvertreter Preise für die ihnen genehme Berichterstattung zu – im Gegenteil. Darin besteht der Hauptgrund für das hohe Renommee des ESP. Dies tragen die IHKs seit Jahrzehnten mit – die eine oder andere kritische Nachfrage intern eingeschlossen.
Im Lauf der Jahre hat der Stellenwert der Preisverleihung zugenommen. Statt Festvortrag und schlanker Preisübergabe gewinnt der Unterhaltungsfaktor an Gewicht. Die Preisverleihung entwickelt sich zur Preisgala weiter – nach einigen überlangen Veranstaltungen mit zunehmendem Tempo, ganz der heutigen Aufnahmebereitschaft des Publikums entsprechend. Die Verringerung der Preiskategorien unterstützt diesen Prozess.
Die aktuellen Herausforderungen
Jenseits aller professionellen Event-Aspekte bleibt das Anliegen Ernst Schneiders hochaktuell: wirtschaftliche Zusammenhänge vermitteln und für ein breites Publikum allgemeinverständlich erläutern. In den Jahrzehnten der Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland nach dem 2. Weltkrieg hat sich das demokratische Denken ganz zweifellos gefestigt. Die öffentliche Meinung über die Soziale Marktwirtschaft wird hingegen zunehmend von Marktskeptikern geprägt. Dazu tragen sicherlich Ereignisse wie die Finanzkrise 2008, der „Abgas-Betrug“ oder der Wirecard-Skandal bei. Die Entwicklung der Mietpreise lässt in manchen deutschen Großstädten sicher viele Mieter (ver)zweifeln. Aber wo ist das engagierte Eintreten für marktnahe Lösungen?
Es gibt nicht wenige Journalisten, die dies tun. Es gibt zahlreiche Berichte darüber, dass der Kauf von Wohnungen durch öffentliche Institutionen keinen neuen Wohnraum schafft. Doch sind sie sich in der publizistischen Vielstimmigkeit ausreichend hörbar? Zweifel bleiben erlaubt.
Die Konzentration am privatwirtschaftlichen Verlagsmarkt nimmt zu. Das Vertrauen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nimmt trotz allgemein hoher Recherchequalität zu – Ausnahmen bestätigen die Regel. Längst haben Facebook und Instagram die publizistische Vorherrschaft der journalistischen Redaktionen aufgebrochen. Selbst 50-Jährige verbringen heute mehr Zeit online als mit dem linearen Fernsehprogramm – warum auch nicht? Die Frage nach zuverlässigen Informationen ist damit allerdings noch nicht beantwortet.
Chancen für herausragenden Wirtschaftsjournalismus
Wenn also das Verständnis der Bevölkerung für wirtschaftliche Zusammenhänge nicht zunimmt und die Lage der Wirtschaftsjournalisten eher schwieriger wird – dann wird das Handlungsfeld für den Ernst-Schneider-Preis eher größer. Was bleibt zu tun?
- Der Fokus auf herausragenden Wirtschaftsjournalismus wird wichtiger. Gute Beispiele sind überzeugender als ein Lamento auf den Gang der Zeit. Es gibt die starken Recherchierer, die Erklärbären auch heute. Sie werden wir auszeichnen und auf sie aufmerksam machen.
- Neue Formate weiten den publizistischen Blick. Wirtschaftsblogs sprießen, Podcasts liegen seit einigen Jahren voll im Trend. Mehrere Journalisten in redaktionsübergreifenden Netzwerke recherchieren dort weiter, wo Einzelkämpfer im Wust komplizierter Daten und internationaler Akteure stecken bleiben.
- Bilanz lesen kann gelernt werden. Junge Journalisten, häufig Absolventen geisteswissenschaftlicher Studiengänge (wie ich selbst), brauchen eine wirtschaftliche Grundbildung, die sie in Schule und Studium nicht erworben haben. Hier können Angebote gemeinsam mit den Redaktionen helfen.
- Lokaljournalismus rules. Neben den großen Wirtschaftsredaktionen von FAZ, Handelsblatt und Co. gewinnen die Wirtschsftsberichte in Lokalredaktionen an Bedeutung. Denn die meisten Menschen arbeiten täglich und schätzen Berichte aus ihrem Arbeitsumfeld, das auch ihr Lebensumfeld ist.
Engagiert für Soziale Marktwirtschaft
Das 50-jährige Jubiläum des Ernst-Schneider-Preis ist nun gefeiert. Frei nach Brecht: Der Vorhang fällt, und alle Fragen offen? Nicht ganz: Am Horizont deuten sich schon die nächsten Antworten an, und sie werden auch nicht die letzt(gültig)en sein.
Zu guter Letzt: Der Ernst-Schneider-Preis ist ein Preis von Unternehmerinnen und Unternehmern. Sie stiften die Preissumme, sie sitzen immer wieder in Jurys und engagieren sich für eines der höchsten Güter, das unsere Gesellschaft kennt: Aufklärung zum Wohl der Gemeinschaft. Damit verkörpern sie selbst, wofür sie eintreten: Engagement für eine Soziale Marktwirtschaft.
Dr. Hartmut Spiesecke ist seit 2018 Geschäftsführer des Ernst-Schneider-Preis e.V.